Samstag, 25. November 2017

"Wir sind in Schulnot!" oder "Hilfe, mein Kind will nicht (mehr) zur Schule gehen!"

"Wir sind in Schulnot!"


Viele Familien, vermutlich sogar die meisten, erfahren Nöte rund um die Schule, die sehr vielfältig sein können. In der kinderpsychiatrischen und -psychologischen Praxis, in welcher ich als Psychologin einige Jahre lang gearbeitet habe, hatte der entscheidend größte Teil an Familien, die ihren Nachwuchs dort vorstellten, Sorgen im Zusammenhang mit der Schule.

Aus meinen vielen Erfahrungen heraus empfehle ich Müttern und Vätern:


  • einerseits sehr achtsam und aufmerksam ihren Töchtern und Söhnen gegenüber zu sein, ihnen zuzuhören und sie unbedingt ernst zu nehmen
  • andererseits nicht zu lange damit zu warten, den Dialog mit der Schule aufzunehmen und ihre Sorgen dort vorzustellen und zu besprechen und eine gemeinsame Lösungsfindung anzuregen.
Was leicht gesagt ist, ist erfahrungsgemäß gar nicht so leicht. Im Gegenteil machen Mütter und Väter oft genug sehr frustrierende Erfahrungen mit derartigen Gesprächen und Lösungsversuchen (Lehrerinnen und Lehrer unter Umständen ebenfalls). Daher ist es sehr ratsam, sich vor jedem (Krisen-)Gespräch gut darauf vorzubereiten, denn es gibt einige kommunikationsbedingte Fallen, in die Betroffene ganz leicht tappen (und das ist ganz normal und geschieht in aller Betroffenheit und Unerfahrenheit und nicht, weil "man irgendwie zu blöd ist") - jedoch auch viele gute Tipps, um genau diesem vorzubeugen!

"Hilfe, mein Kind will nicht (mehr) zur Schule gehen!"


Nöte in und mit der Schule, bei denen der Eindruck und die Hoffnung bestehen, sie irgendwie klären und auflösen zu können, sind die eine Sache. Schwieriger ist es, wenn diese Hoffnung schwindet oder sogar die Tochter oder der Sohn signalisieren oder äußern, dass sie zu diesem Ort, in die Schule, nicht (mehr) gehen wollen. Diese Äußerung kann sehr verschieden aussehen: mit klaren Worten (was eher nicht die Regel ist) bis dahin, dass der Körper "spricht" in Form von Symptomen wie Übelkeit, Bauch- oder Kopfschmerzen. 

Wenn es Anzeichen in diese Richtung gibt, empfehle ich aufgrund meiner Erfahrung durch die Begleitung zahlreicher Familien:
  • Bitte nicht allzu lange warten, die Signale ernst nehmen und einen Klärungsprozess zulassen: mit sich selbst als Mutter und Vater, mit dem betroffenen Nachwuchs, mit der Schule (am besten in der Reihenfolge). Hier kann im Vorfeld und währenddessen psychologische Begleitung sehr nützlich und unterstützend sein.
 Warum?
  • Weil die Integrität des Sohnes/der Tochter auf dem Spiel steht und damit seine/ihre seelische (und auch körperliche) Gesundheit.
  • Weil die Fähigkeit des Sohnes/der Tochter, sich auszudrücken und für sich sprechen zu können, auf dem Spiel steht und damit ihr gesundes Selbstgefühl und Selbstvertrauen.
  • Weil das Vertrauensverhältnis zwischen Müttern/Vätern und ihren Töchtern/Söhnen auf dem Spiel steht und damit (mittel- bis langfristig) die Basis für einen wirklichen Austausch miteinander! 
  • Weil das Risiko besteht, dass problematische, missverständliche oder eskalierende Situationen im Kontakt mit der Schule oder darüber hinausgehende Behörden entstehen, die vermieden werden können.
  • Weil die Gefahr besteht, dass Angst und Gefühle von Macht- oder Hilflosigkeit auf allen Seiten wachsen (und das muss doch nicht sein).

Allein die Begrifflichkeiten, die mit diesem Phänomen verbunden werden, sind vielfältig und können verwirren:

Schulabsentismus
Schulschwänzen

Schulverweigerung
Schulvermeidung
Schulmüdigkeit
Schulunlust
Schulangst
Schulphobie 

Sie bedeuten alle irgendwie etwas anderes und es lohnt sich, sich darüber klar zu werden, worum es eigentlich geht. Darüber hinaus lohnt es sich sehr, sich über bestimmte weitere Begriffe Gedanken zu machen, denn es spielt tatsächlich eine große Rolle, welche wir verwenden oder eben nicht verwenden.
Und es lohnt sich ganz besonders, für sich als Mutter und Vater (und v.a. auch als Elternpaar) zu klären: 
  • Wie stehe ich zu meiner Tochter/meinem Sohn? 
  • Wie stehe ich zu Glaubenssätzen wie 
      • "Man muss halt durch Dinge durch!"
      • "Das hat mir auch nicht geschadet!"
      • "Er/sie muss halt lernen...!"
      • "Es gibt nur einen Weg!"
      • "Das Leben ist kein Ponyhof!"
  • Bin ich bereit, zu deren Umsetzung und Durchsetzung Gewalt anzuwenden? (Darf ich das?) 
  • Was sind die (mittel- bis langfristigen) Konsequenzen meines Tuns?

 Was, wenn meine Tochter/mein Sohn eindeutig "Nein" sagt? 

 

"In Deutschland herrscht Schulpflicht!" - so sieht es von gesetzlicher Seite aus. Wenn es tatsächlich zu der Situation kommt, dass ein junger Mensch in Deutschland Nein zur Schule sagt, dann kann dieser Zustand nicht nur Mütter und Väter, sondern auch die damit befassten Menschen in Schulen, Beratungsstellen, Behörden, Gerichten in eine wirkliche Zwickmühle bringen, in ein nicht auflösbares Dilemma. Erfahrungsgemäß kommt es spätestens hier ganz oft zu Akten von Gewalt: in Form von Vorwürfen, Schuldzuweisungen und Unterstellungen, bedrängenden Fragen und Behauptungen bis hin zu bedrohenden Aussagen und Androhung von Maßnahmen (z.B. Sorgerechtsentzug, Buß- und Zwangsgeld, psychiatrische Unterbringung/Behandlung).

In dieser Situation ist es sinnvoll, einen klaren Kopf zu bekommen und zu bewahren, um in einer solchen Krise konstruktiv und haltgebend zu sein (haltgebend für sich selbst und für seinen Nachwuchs, jedoch unter Umständen auch für die Gesprächspartner). Wer sich bedroht fühlt (z.B. in seiner Machtposition oder in seinen Glaubenssätzen), kann gewalttätig werden. Drohen ist ein Zeichen von Schwäche. 
(Behördliche) Gewalt kann als Zeichen der (zunehmenden) Rat- und Hilflosigkeit betrachtet werden. Eine deeskalierende Kommunikation und eine klare Position und Haltung sind hier ratsam.

Ich werde nicht selten "als Feuerwehr" kontaktiert und um Unterstützung gebeten, wenn schon ganz viel (schief) gelaufen ist und "das Kind schon im Brunnen liegt". Andererseits habe ich erleben dürfen, wie Mütter und Väter nach beratenden und coachenden Gesprächen gestärkt in und durch schwierige Gespräche gingen und es ihnen gelang, trotz schwierigen Situationen gute Gespräche zu führen. Gern lege ich daher betroffenen Menschen gesprächsvorbereitende(s) Beratung und Coaching sehr ans Herz und stehe dafür im Rahmen meiner Möglichkeiten zur Verfügung. 

Darüberhinaus schwebt mir für nächstes Jahr ein Buchprojekt vor, in welchem die Erlebnisse und Erfahrungen betroffener Familien dargestellt, kommentiert und aufgearbeitet werden sollen, um die Problematik einer strukturellen Gewalt in ihrem Ausmaß und ihrer (alltäglichen) Praxis ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Im Falle einer Zusammenarbeit könnten wir also nicht nur gegenseitig davon profitieren, sondern auch noch zu einem (hoffentlich) gemeinwohlförderlichen Projekt beitragen. Interessierte Betroffene lade ich gern ein, sich an mich zu wenden.

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